Jobeinstieg per Videobotschaft

Auf der Veranstaltung zum Thema „Wie arbeiten wir morgen?“ im September 2016 habe ich Anna Ott kennenlernen dürfen. Ott ist HR-Expertin bei Hub:raum, dem Inkubator der Deutschen Telekom. Quasi über Nacht kam ihr die Idee, den Lebenslauf im Bewerbungsprozess abzuschaffen.

Uns Menschen steht es nicht zu, anhand des statistischen Durchschnitts zu bewerten. Es muss eine alternative Bewertungsgrundlage her.

Gesagt – getan! Ott ruft eine befreundete Geschäftsführerin eines Video-Internet-Tools an: „Wir müssen uns unbedingt treffen und den Prozess der Mitarbeiterauswahl überarbeiten“, so Ott. Einen Tag später sitzen die beiden zusammen und ihre Köpfe qualmen. Sie nennen ihr neues Projekt „No CV Hiring“ und starten direkt mit ihrer neuen Marketingkampagne auf allen sozialen Netzwerken durch. Sie hatte ihre Entscheidung im Vorfeld nicht mit der Telekom abgestimmt. Doch im Nachhinein sagt sie, dass es der beste Tag in Ihrer HR-Laufbahn war. Das Ganze war für sie eine Art Experiment, welches sie unbedingt ausprobieren wollte.1 Sie hat damit begonnen, Kandidaten ein Video aufnehmen zu lassen, in dem sie 7 Fragen beantworten müssen. Jobbezogene Fragen sind Ott dabei nicht wichtig. Vielmehr möchte sie von den zukünftigen Arbeitnehmern ihre Motivation, ihre Einstellung zur Arbeit sowie ihre erfolgreichsten Projektumsetzungen herausfinden. Verläuft die erste Hürde erfolgreich, werden die Bewerber in die zweite Runde geschickt und zu einem fachlichen Gespräch eingeladen. Vor allem in der heutigen Zeit sind viele Berufsgruppen gefragt, für die nicht unbedingt eine akademische Ausbildung erforderlich ist. In der Vergangenheit haben sich hauptsächlich Studierende von europäischen Business Schools bei der Telekom beworben. Heute, nach der Einführung der Videobewerbung, sind viele internationale Bewerber im Auswahlprozess und das Interesse verteilt sich dabei über alle sozialen Schichten.2

Mit diesem Ansatz steht sie nicht alleine da. Gerade lese ich in der Sonntagszeitung der FAZ, dass auch die Deutsche Lufthansa, Daimler TSS und vor allem die Medienbranche mit diesem Verfahren arbeiten. Also ein Trend, der sich weiter verbreiten könnte. Dabei geht es den Arbeitgebern nicht um die perfekte Situation und ein aufwendig produziertes Video, vielmehr spielen die Persönlichkeit und die Kompetenzen des Bewerbers eine große Rolle. Es ist es also viel wichtiger herauszufinden, wie gut passt der Kandidat zum jeweiligen Unternehmen bzw. zur Unternehmenskultur. Wohin möchte der neue Mitarbeiter und welche Visionen hat er? Das ist eine sehr zukunftsorientierte Denke und vernachlässigt das Stöbern in der Vergangenheit. Jeder entwickelt sich weiter und ein Lebenslauf zeigt oftmals nur die vergangenen Stationen und konzentriert sich weniger auf die Ideen im Hier und Jetzt. Was meines Erachtens sehr schade ist. Was gestern war, kann heute schon wieder ganz anders sein. Wichtig ist doch, den aktuellen Status des Bewerbers herauszufinden und zu prüfen, welche sozialen Kompetenzen bringt er aktuell mit? Diese Informationen kann man einem Lebenslauf nicht unbedingt entnehmen. Gibt der zukünftige Arbeitnehmer nur solche Hobbys an, welche zum Unternehmen passen, oder wann hat er tatsächlich das letzte Mal Volleyball gespielt? Wahrheit und Mogelei liegen da dicht beieinander. Die Unternehmen sollten sich von Stereotypen lösen und schauen, wie sie ein Instrument im Bewerbungsprozess einbinden können, welches eine genauere Filterung der potenziellen Kandidaten ermöglicht. Nur so können sie jemanden finden, der perfekt zu ihrem Anforderungsprofil passt und genau die richtigen Kompetenzen mitbringt.

Die Dauer des Bewerbungsvideos beträgt, je nach Unternehmen, zwischen 15 Sekunden (bei Daimler TSS) bis 15 Minuten (bei der Telekom). Dabei kommt es der Telekom vor allem auf das Kennenlernen des Bewerbers und das Zueinander passen an, wobei die Lufthansa in erste Linie die Motivationsgründe ihrer Kandidaten herausfinden möchte. Die Fragen werden bei der Lufthansa sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache gestellt. Bei der Telekom müssen direkt alle 7 Fragen in englischer Sprache beantwortet werden. Gerade im digitalen Zeitalter sind Sprachkompetenzen ein großes Thema. Wer im Rahmen dieses Bewerbungsformates nicht zügig auf Englisch antworten kann, fliegt gleich in der ersten Runde raus.

Als Karriereberater an einer Hochschule kommen oft Studierende zu mir, die gerade ihren Masterabschluss in der Tasche haben, perfekte Noten aufweisen können, jedoch keine Auslandserfahrungen haben. Sie unterschätzen häufig die Bedeutung eines Austauschsemesters und die damit einhergehende Förderung der interkulturellen Kompetenzen sowie den Ausbau ihrer Sprachkenntnisse. Auch kann das Kennenlernen anderer Unternehmenskulturen sehr wertvoll sein und einem Aufschluss darüber geben, ob sie in solch einem Arbeitsumfeld tätig werden möchten, oder etwas anderes besser zu ihnen passt.

Bei einer Videobewerbung können motivierte Arbeitnehmer ihre Kompetenzen ins richtige Licht rücken und zeigen, dass genau sie der perfekte Kandidat für die ausgeschriebene Stelle sind. Ausschlaggebend sind nicht nur Einser auf dem Zeugnis. Es geht weniger um Perfektionismus als um Persönlichkeit. Laut Daimler TSS sei auch die Anzahl der Bewerbungen nach Einführungen der Video-Option um 20% gestiegen.3

Ob der Trend so weiter geht, wird die Zukunft zeigen. Laut Ott, HR-Expertin bei Hub:raum, schätzen viele Bewerber den neuen Bewerbungsprozess. Die Unternehmen signalisieren dadurch, dass sie mehr Wert auf die Passgenauigkeit des Bewerbers legen, als auf einen erstklassigen akademischen Abschluss.

 

1 Quelle: Dear Work: Experts// Mit hub:raum HR-Expertin Anna Ott, unter: https://www.dearwork.de/single-post/2016/07/15/EXPERTS-Mit-hubraum-HR-Expertin-Anna-Ott (abgerufen am 29.01.2017)
2 Quelle: Uniglobale: Lebenslauf? Brauchen wir nicht, unter: https://allmaxx.de/magazin-uniglobale/global-village/lebenslauf-brauchen-wir-nicht (abgerufen am 30.01.2017)
3 Quelle: Wenge, Jörg: Und Action! in: Sonntagszeitung der FAZ (2017), Nr. 24, S. C1

 

 

 

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